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Weingut Ruinen
Der Raum im Schiff war prächtig ausstaffiert. Durch das große Fenster hinter dem Thron sah man die weite des Meeres. Dennoch, so prächtig der Raum war, so alt wirkten die Sachen. Passend dazu, saß auf dem Thron eine Person, die dem Tod weit näher war, als dem Leben. Die Haut war zwar braungebrannt von der Sonne, doch faltig und dünn wie Papier. Das Haar, soweit noch vorhanden, war strähnig weiß.
Es klopfte.
"Herein?", die Stimme schien einmal mächtig geklungen zu haben, doch nun war sie nur noch etwas mehr als ein Flüstern. Ein junger Mann betrat den Raum. In seiner Hand hielt er einen mit Wein gefüllten Kelch. "Euer Majestät, der Wein." Der Alte winkte ihn zu sich. Schnellen Schrittes näherte sich der Mundschenk dem Thron. Der König nahm den Kelch entgegen und trank sogleich einen Schluck, dann senkte er den Kelch. Das Gesicht war verzogen. "Diesen sauren vergorenen Traubensaft nennt ihr Wein? Ich will Traubenfelser Wein!" Der Mundschenk verzog keine Miene, denn dieses Gespräch führte er seit zehn Jahren Tag für Tag. "Euer Majestät, in unseren Lagerräumen gibt es keine einzige Flasche mehr." Doch davon ließ sich der König nicht beirren. "Der Wein der Kellterei Traubenfels, er war so süß. Kein Wunder, dort scheint die Sonne von Frühling bis spät in den Herbst.
Marius...," der König schluckte schwer, die Worte schienen ihn zu schmerzen, "... machte den besten Wein, bevor er beim Kloster fiel." Grimmig nahm der König noch einen Schluck. Nun passte das bittere Gesöff zu seiner Stimmung...
"Ich war einmal dort. Das Haus war herrschaftlich, einem Fürsten angemessen. Die schwarzen Ziegel verliehen ihm einen besonderen Ausdruck. Auch der Kunst war der gute Marius nicht abgeneigt. Eine besonders schöne Statue zierte seinen Garten." Der König nahm nun einen weiteren Schluck. "Doch jetzt dürfte es, wie alles andere, in Ruinen liegen. Hundert Jahre sind eine lange Zeit, zudem war ich einige Jahre vor der Ausfahrt dort. Die Trauben hingegen waren so süß, dass der Fürst von Traubenfels sie mit einem Eisenzaun umfriedete" ...
Der Mundschenk kannte die Geschichte auswendig, seit neun Jahren hörte er sie, Tag für Tag. Er spielte das Spiel weiter, es tat dem alten König gut, sich zu erinnern.
"Was geschah mit dem Gut nach Marius von Traubfels' Tod? Fiel es dem Orkensturm zum Opfer?" Der König brauchte einige Minuten um sich zu erinnern. "Während des Orkensturm stellte ich diese Frage einem Gefangenen. Natürlich konnte er nichts mit dem Namen anfangen, dieser Barbar. Doch als ich ihm den Weg beschrieb, erwiderte er in seinem kaum verständlichen orkischen Kauderwelsch:
Für uns Orks ist der Ort, den du da beschreibst, ein verfluchter Ort. Wir wollten alle Menschensiedlungen in der Nähe zerstören. Bei der Festung und den Dörfern gelang es uns. Doch unsere Krieger schafften dies nicht.
Das war damals eine ziemlich verrückte Aussage, also hakte ich nach.
Erst schickte Modokkc zehn Krieger, er hielt dies für ausreichend. Keiner kam zurück. Dann schickte er 20 Krieger, dann 70 und schließlich 100 mit Schamanen, Knochenhütern und einer Gruppe Beobachter. Die Beobachter sollten alle Kilometer zurückbleiben. Der letzte Beobachter der zurückkehrte, berichtete von einem Nebel. Die Orks gingen rein, keiner kam raus.
Ich konnte die Geschichte nicht glauben, doch hatte ich nie die Chance, sie zu überprüfen. Was sie so unglaubwürdig machte, ist die schiere Tatsache, dass Traubenfels nie unter Nebel litt." Das lange Reden hatte den König durstig gemacht. Er leerte mit einem tiefen Schluck den Kelch.
Dann klopfte es.
Der Mundschenk rief "Herein!" Ein gerüsteter Mann stieß die Türe auf. Er schritt geschwind vor den Thron. "Euer Majestät, das erste Schiff ist in der Heimat angekommen. Man lässt euch übermitteln, dass sie in Ashengard gelandet sind!" Der Blick des Königs trübte sich leicht, das Alter war nun deutlicher denn je im Raum zu verspüren. Schwach kam seine Stimme herüber. "Aschengard, ja? Dann sehe ich Traubenfels vor meinem Tod ja doch noch wieder. Es liegt nördlich des Ortes. Man muss dort den Berg erklimmen." Der gerüstete nickte. "Vielleicht findet sich unter den Ankömmlingen ein Freiwilliger, der den Weg dorthin einschlägt." Der König nickte nun seinerseits. "Ja, vielleicht, auch wenn er nicht mehr als verdorrte Reben und eine Ruine finden wird. Kein Vergleich zu früher. Nun, lasst mich alleine." Eiligst verließen die beiden Personen den Raum, sie liesen den nun sehr erschöpft wirkenden König alleine zurück....