Wie jeden Tag auf der kleinen Insel wurde ich von trällerndem Vogelzwitschern und dem Rauschen der Blätter über mir geweckt. Das mächtige Geflecht aus Stämmen, Ästen und Zweigen, ummantelt von dem grünen Blätterdach der mächtigen Eiche, war das erste, was meine grünlich schimmernden Augen an diesem Morgen sahen. Gemütlich rappelte ich mich auf und schlenderte im hohen Gras zum Gasthaus von Flindo, das seit meiner Ankunft auf dieser Insel der zentrale Versammlungspunkt aller Inselbewohner war.
Ich traf dort auf Abory und Seriath, die beide an der Theke saßen und sich ebenso wie ich über den ausbleibenden Met und das nicht mehr vorrätige Essen beklagten. Zu lange waren wir alle schon auf dieser Insel. So schön und unbefleckt dieses Land auch sein mag, Heimweh, Langeweile und frischer Tatendrang ziehen uns mit gewaltiger Kraft in eine neue Welt, fernab dieser Insel. Ich vermisse die kühlen Tage und die eisigen Nächte meiner Heimat.
Das flache Land hier bietet uns zwar alles was wir zum Leben brauchen, doch die Tiere im Schnee brauchen mich, wie auch das Land, das unter den massiven Schneemassen oft schon nicht mehr atmen konnte. Ich nahm einige der Pflanzen dieser Insel an mich - mögen sie den noch weiten Weg in unsere neue Heimat heil überstehen, um uns auch dort mit ihrem grünen Antlitz erfreuen und uns Fruchtbarkeit bringen.
Unser Gespräch lenkte uns in die Richtung eines Bootes, das wir bauen müssen und werden - ja, es ist sogar eine vortreffliche Idee. Auf diese Weise würde die Haut der von Äxten malträtierten Bäumen einen Sinn erfüllen und wäre nicht nur der Langeweile und dem täglichen Training der Muskeln zum Opfer gefallen. Ein Plan wurde ersonnen, Abory würde sich mit ihren Werkzeugen, einigen Knochen und Holzscheiten beschäftigen, um daraus genügend Holzstifte, Schäfte und weitere Dinge herzustellen, die zur Befestigung von Planken dienen würden. Seriath würde die nötigen Holzstämme bearbeiten und die Planken an ihnen befestigen.. Ich verstehe nicht viel vom Schiffsbau, schon immer schwamm ich lieber im kühlen Nass, anstatt mich vom rauen Seegang durchschütteln zu lassen. Allerdings bin ich fest davon überzeugt, den Bau eines Schiffes in die kräftigen und vertrauenswürdigen Hände nordischer Handwerker legen zu können.
Doch selbst wenn es uns gelingen sollte, ein seetaugliches Boot zu bauen, würden wir weder zu dritt, noch zu viert genügend Ruderplätze besetzen können, um in der Zeit, die es uns unsere kleinen Proviantreserven erlauben würden, neues Land zu erreichen. "Wenn kräftiger Wind wehen würde...", meinte Seriath schließlich. Mit gemischten Gedanken erinnere ich mich zurück an den alten Zausel.. sein Name war Eynur, aber ich nannte ihn meistens nur Zausel. Er war es, der mir vor gar nicht allzu langer Zeit beibringen sollte und wollte, mit den in mir schlummernden Kräften umzugehen. Ich spüre sie in mir, wie den Wind auf meiner Haut und das Blut in meinen Adern.. Doch er schaffte es nicht, sie in mir zu wecken und lehrte mich stattdessen viele Dinge über Pflanzen und ihre Anwendung. Doch seitdem ich auf dieser Insel bin, fühle ich es wie ein Kribbeln in mir, doch etwas fehlt noch - wenn ich nur wüsste was.
Ich verabschiedete mich bei Abory und Seriath - "Überlasst den Wind nur mir.. aber ich kann es nicht versprechen". Auf jeden Fall würde ich eine klebrige Paste aus zerstampften Kräutern und etwas Baumharz anrühren, in der Hoffnung, dass die Hölzer des Bootes dem Wasser auf diese Weise genügend trotzen werden, um uns allen eine sichere Überfahrt zu bescheren.
Grübelnd und nachdenklich ging ich zurück zu meiner Eiche, lehnte den Kopf an den Stamm und lauschte konzentriert - wie ich es einst tat, so wie es der Zausel mir sagte.
"Wind.. es ist doch nur etwas Wind.." Sachte spitzte ich die Lippen und blies langsam die Luft aus meinen Backen heraus...